In diesem Report geht es um unseren Umgang mit Fehlern. Wie erkennen wir solche und wie schaffen wir eine Kultur, um aus Fehlern zu lernen?
Zufall oder Fehler?
Wer in Aktien investiert, hat weder die Gewissheit noch eine Garantie, dass die erhofften Anlageziele erreicht werden. Der Umgang mit Unsicherheiten, Überraschungen und Zufällen gehört zum Alltag jedes Anlegers. Weil für Investitionsentscheidungen oft Annahmen und Schätzungen Teil der Entscheidungsfindung sind, können selbst hochkomplexe Anlagestrategien gelegentliche Verluste nicht ausschliessen. Treten solche Verluste ein, ist die Versuchung gross, diese einfach dem Zufall zuzuschreiben oder der launischen Natur von Aktienmärkten. Wo aber Menschen arbeiten, werden Fehler begangen. In diesem Report befassen wir uns damit, wie wir den Unterschied zwischen dem Zufall und Fehler erkennen, wie wir diese analysieren und wie wir aus ihnen lernen können.
Drei vermeidbare Fehler
Grundsätzlich unterscheiden wir zwischen unvermeidbaren und vermeidbaren Verlusten. Unvermeidbare Verluste sind das Resultat von unvorhersehbaren Ereignissen. Es könnte sich etwa um einen plötzlichen gesundheitsbedingten Rücktritt einer wichtigen Führungsperson oder eine bahnbrechende Innovation eines Konkurrenzunternehmens handeln.
Vermeidbare Fehler hingegen sind Fehler, die im Rahmen des Investitionsprozesses gemacht werden. Aber auch wenn sie an sich vermeidbar sind, lassen sie sich nie völlig eliminieren. In unserer Fehleranalyse unterscheiden wir drei Typen von vermeidbaren Fehlern, auf die wir hier näher eingehen möchten: Informationsfehler, kognitive Fehler und emotionale Fehler.
Informationsfehler
Bei dieser Fehler-Kategorie geht es grundsätzlich um die Frage, ob alle relevanten und verfügbaren Informationen im Research-Prozess gefunden und in die Analyse einbezogen worden sind, bevor es zu einem Entscheid kommt. Das Lesen der Jahresberichte, die Auswertung der Telefonkonferenzen mit dem Management, das Aufarbeiten der medialen Nachrichtenlage, die Gespräche mit Kunden und Konkurrenten, die Vertiefung in die technischen Details der Produkte gehören standardmässig zu unserer Analyse. Dennoch kann es vorkommen, dass wir Informationen verpassen, die einen wesentlichen Einfluss auf den Investitionsentscheid haben könnte. Dann sprechen wir von einem Informationsfehler.
Ein Beispiel aus unserer Vergangenheit soll dies illustrieren: In den Jahren 2012 und 2013 haben wir Aktien des US-Landmaschinenherstellers John Deere gekauft. Die starke Erholung des Umsatzes dieser Firma nach der Finanzkrise hat uns beeindruckt. Wir gingen davon aus, dass die Bauern wieder bereit waren, neue Mähdrescher und Traktoren zu kaufen, nachdem das Geld dafür während der Finanzkrise fehlte. Eine wichtige Information blieb von uns vorerst aber unbemerkt: Das von der Obama-Regierung verabschiedete Steuerpaket zur Stimulierung der wirtschaftlichen Erholung hielt fest, dass der Anschaffungswert von Landwirtschaftsmaschinen bereits im Anschaffungsjahr vollständig von den Steuern abgezogen werden könne. Bisher mussten die Abschreibungen über die gesamte Lebensdauer des Geräts verteilt werden. Es kamen dann Gerüchte auf, wonach dieser Teil des Stimulationsprogramms Ende 2013 auslaufen würde. Entsprechend handelte es sich beim Anstieg des Umsatzes von John Deere nicht um das Ergebnis einer aufgestauten, sondern einer vorgezogenen Nachfrage! Tatsächlich verbuchte John Deere in den Jahren 2014, 2015 und 2016 je einen Umsatzrückgang. Dieses Beispiel zeigt, dass es manchmal unmöglich ist, die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen, wenn nicht eine vollständige Informationslage erstellt worden ist. Diese muss nicht einmal direkt mit der Firma zusammenhängen, sondern zum Beispiel auch das steuerliche Umfeld ihrer Kunden erfassen.
Kognitive Fehler
Kognitive Fehler finden ihre Ursache in der Fehlinterpretation der vorhandenen Informationen. Nach unseren gründlichen Analysen verfügen wir jeweils über eine breite Informationsbasis, um den richtigen Entscheid zu fällen. Falls wir die Informationen aber falsch interpretieren, gelangen wir zu einer Schlussfolgerung, die den Ertrag des Portfolios negativ beeinflusst.
Dazu ein fiktives Beispiel, das zeigen will, wie vieldeutig eine Information sein kann. Nehmen wir an, dass wir Folgendes in einem Mitarbeiterinterview hören: «Die Anzahl der Anrufe bei der Beschwerde-Hotline ist in letzter Zeit stark angestiegen». Die Frage ist nun, wie wir diese Information interpretieren. Im ersten Moment denken wir, dass die Zufriedenheit der Kunden sinkt, weil sich vielleicht die Qualität der Produkte in letzter Zeit verschlechtert habe oder weil die Verkäufer zunehmend als unfreundlich empfunden würden. Dies könnte zu mehr Anrufen bei der Beschwerde-Hotline führen, was ein Indiz für rückläufige Verkaufszahlen und einen Reputationsverlust sein könnte. Doch man hüte sich vor voreiligen Schlüssen!
Könnte es nicht auch ganz anders sein? Vielleicht hat die Firma in letzter Zeit viele neue Produkte auf den Markt gebracht oder in rasantem Tempo neue Kunden hinzugewonnen. In diesem Fall wäre die Zunahme der Hotline-Anrufe lediglich die Folge eines stark wachsenden Geschäftsgangs. Eine höhere Kundenzahl zieht auch mehr Anrufe bei der Beschwerde-Hotline nach sich. Oder gilt womöglich eine dritte Interpretation der Situation? Es könnte sich unter den Kunden nämlich herumgesprochen haben, dass die Beschwerde-Hotline einen hervorragenden Service bietet und Probleme tatsächlich sofort gelöst würden. Entsprechend möchten mehr Kunden diesen Service nutzen.
Die höhere Anzahl von Anrufen auf der Beschwerde-Hotline ist also nicht so einfach zu deuten. Gehen wir der ersten Information eines Anstiegs der Hotline-Frequenzen nicht effektiv auf den Grund, sondern begnügen uns mit der erstbesten Vermutung, sprechen wir von einem Interpretationsfehler oder kognitiven Fehler. Wir haben nicht wirklich ergründet, warum sich etwas verändert hat. Diese Arbeit gilt es zu leisten, auch wenn der Aufwand dafür unter Umständen beträchtlich sein kann.
Auch diese Art von Fehler ist uns leider schon unterlaufen. Als wir erstmals in die niederländische Firma Boskalis investierten, machten wir uns wenig Gedanken zum Thema Wartungsarbeiten. Boskalis bietet Bagger- und Schwertransportdienstleistungen sowie Instandhaltungsarbeiten für maritime Infrastrukturen an. Uns beeindruckte die Tatsache sehr, dass die Flotte von Boskalis voll ausgelastet war, was wir als Garantie für ein gutes Geschäftsergebnis sahen. Dass die volle Auslastung jedoch nur wegen der Verschiebung wichtiger Wartungsarbeiten auf einen späteren Zeitpunkt zustande kam, übersahen wir in unserer Analyse. Wir hatten zwar die Information über die volle Auslastung, doch wir haben den Sachverhalt falsch interpretiert. Im Folgejahr waren viele Schiffe nur noch teilweise im Einsatz, was zu Rückgängen in Umsatz und Gewinn führte und eine entsprechend negative Kursentwicklung der Aktie nach sich zog.
Emotionale Fehler
Ein emotionaler Fehler ärgert uns am meisten. Ein solcher liegt dann vor, wenn wir über alle relevanten Informationen verfügen und auch die richtigen Schlussfolgerungen gezogen haben, aber das Ergebnis dieser Analysen missachten. Stattdessen rechnen wir mit etwas, das wir uns erhoffen. Wunschdenken ist leider nur eine von vielen Möglichkeiten, die zu emotionalen Fehlern führen. Andere können entstehen, wenn wir unter Zeitdruck eine neue Investitionsmöglichkeit finden sollten oder wenn wir an einem Investment zu lange festhalten, weil es in der Vergangenheit doch so gute Resultate geliefert hat. Die Verhaltenswissenschaft beschreibt unzählige Beispiele von vergleichbaren Fehlern wie etwa Herdenverhalten, Überheblichkeit, Uminterpretation der Vergangenheit, Verlustaversion, Veränderungsangst.
Auch in diesem Bereich haben wir unsere Erfahrungen gemacht. Wir wussten im Jahre 2014, dass sich der Preis für Eisenerz dank eines Angebotsüberschusses im freien Fall befand. Wir wussten auch, dass der Break-Even-Punkt der grossen Rohstoffkonzerne wie BHP oder Rio Tinto bei einem noch deutlich tieferen Eisenerzpreis lag. Zusätzlich war uns bewusst, dass die Marktbewertung der australischen Eisen-erz-Infrastrukturservice-Firma MRL und der Eisenerzpreis eine positive Korrelation von 0.7 aufwiesen. Wir hielten viel von MRL und störten uns vor allem an der negativen Kursentwicklung von Eisenerz. Daneben holten wir auch die Meinung von Industrieexperten ein. Diese meinten, der Tiefpunkt des Eisenerzpreises sei erreicht und eine Erholung stehe kurz bevor. Wir haben uns damals entschieden, diesen Aussagen zu vertrauen. Denn sie passten gut zu unserer Hoffnung, aus dieser Firma könnte eine vielversprechende neue Investition werden. Der Entscheid, den Experten zu glauben, obwohl die Fakten einen Markt mit Überkapazität zeigten, ist ein Beispiel von Wunschdenken. Die von uns in der Folge vorgenommene Investition war falsch und die Lehren daraus schmerzten sehr. Ab diesem Zeitpunkt ist für uns klar, dass künftig jeder Experte, mit dem das Research-Team in Kontakt tritt, die Grundlagen seiner Annahmen detailliert erklären muss. Eine Zweitperson kontrolliert, ob dies auch stattgefunden hat. Dieser neue Umgang mit Experten hat uns seither sehr geholfen, uns von der Gefahr des Wunschdenkens besser zu schützen.
Verbesserung des Anlageprozesses
Unsicherheit wird sich nie völlig aus den Aktienmärkten eliminieren lassen und wir werden auch nie den vollständigen Zugang zu sämtlichen Informationen über eine Firma besitzen. Die oben erwähnten Beispiele von Fehlern haben alle gemeinsam, dass sie sich hätten vermeiden lassen. Beim Investieren in Aktien ist die Erfahrung durch nichts zu ersetzen. Doch dies setzt voraus, dass man bereit ist, aus begangenen Fehlern zu lernen. Indem wir gewillt sind, dies zu tun, verbessern wir unseren Anlageprozess und unser eigenes Verhalten stetig, auch wenn es zuweilen einfacher gesagt als getan ist.
Fehlerkultur
Die Grundlage für einen konstruktiven Lernprozess bildet Ehrlichkeit sowohl innerhalb der Gruppe als auch – oder vor allem! – gegenüber sich selbst. Einzugestehen, dass man nicht alle relevanten Information gefunden hat, ist unangenehm. Zu akzeptieren, dass man die richtigen Informationen gefunden, sie jedoch falsch interpretiert hat, ist schon schwieriger. Die Erkenntnis, dass die notwendigen Informationen und die richtigen Interpretationen zwar zur Verfügung standen, man sich aber im Entscheidungsprozess von Emotionen und Hoffnungen in eine falsche Richtung verleiten liess, verletzt jedes Mal den eigenen Stolz. Eine Kultur, in der Fehler als Möglichkeit zum Lernen verstanden werden, ist die Voraussetzung dafür, Fehler sowohl des einzelnen wie der Gruppe zu akzeptieren und dies als Chance zu sehen, den Anlageprozess ständig zu verbessern.
Wir haben uns entschieden, alle relevanten Information zu einer neuen Firma in einem Bericht zusammenzufassen, sodass sämtliche Mitglieder des Anlageausschusses gleich und vollumfänglich informiert sind. So sind diese mit allen Annahmen und Schlussfolgerungen des Analyseteams vertraut, was die Diskussion sowie den Austausch von Erfahrungen und Meinungen erleichtert. Dies ermöglicht es dem Anlageausschuss, fundiertere Entscheidungen zu treffen. Er trägt die Verantwortung kollektiv und trägt so zu einer proaktiven Fehlerkultur bei, weil dies das Fehlerbewusstsein aller verbessert. Wie schon erwähnt, lassen sich Fehler nie vollständig eliminieren. Eine aktiv gelebte Fehlerkultur ermöglicht aber den für den Lernprozess notwendigen Dialog innerhalb des Teams, was die Wahrscheinlichkeit reduziert, dass die gleichen Fehler erneut gemacht werden.
Fazit
Die Fehleranfälligkeit des Einzelnen zu akzeptieren und die proaktive Analyse der eignen Fehler zu fördern, ist zentral für eine konstruktive Fehlerkultur. Eine Vorbildfunktion erfahrener Teammitglieder sowie das gemeinsame Interesse am Lernprozess ermöglichen ein offenes Diskussionsklima. Dieses ist wichtig, wenn es um die Evaluation vergangener Entscheidungen geht, was zuweilen auch unangenehm sein kann. Die Lehren, die so gewonnen werden, sind aber durch nichts zu ersetzen und führen zu einer kontinuierlichen Verbesserung des Anlageprozesses sowie der Fähigkeiten des einzelnen Analysten.
Erstveröffentlichung: 01.10.2018
Neuste Version: 27.02.2021